Pelziges Mitbringsel

katze

»Hallo Renate!« Annegret war am Telefon. »Wollt ihr ’ne Katze adoptieren?«

»Nö«, sagte ich, »wir haben doch schon eine.«

»Na und, das macht doch nichts, im Gegenteil. Eine Single-Katze fühlt sich einsam.«

»Putzel fühlt sich überhaupt nicht einsam!«

»Katzen brauchen Artgenossen.«

»Putzel nicht!«

»Das kannst du gar nicht wissen, das musst du ausprobieren. Am besten gleich heute Abend. Ich komm vorbei und ich bring das Kätzchen mit.«

»Kommt ja gar nicht in Frage …«, wollte ich entgegnen, aber Annegret ließ mich nicht zu Wort kommen.
»Wenn’s Stress gibt, kann ich’s ja wieder mit nach Hause nehmen«, sagte sie.

Da Annegret seit vielen Jahren meine Freundin war, wusste ich, Widerspruch war zwecklos. Sie würde die Katze hier her schleppen, mit oder ohne mein Einverständnis.

»Guck mal, ist die nicht niedlich?«, sagte Annegret am Abend und streckte mir ein grau getigertes Kätzchen entgegen.

»Nimm sie mal.«

Sie drückte mir das Kätzchen in die Arme. Es kuschelte sich sofort an meine Brust und begann zu schnurren.

»Immer muss alles nach deinem Kopf gehen«, brummte ich und streichelte das Kätzchen. Sein Fell war flauschig und weich, und die Spitzen der Ohren sahen aus wie kleine Pinselchen.

»Sie heißt Mucki«, sagte Annegret, »aber du kannst sie natürlich auch anders nennen«, fügte sie beflissen hinzu.

»Ich weiß doch gar nicht, ob ich sie nehme«, sagte ich.

»Natürlich nimmst du sie«, meinte Annegret, wieder mit diesem Ton in der Stimme, der keinerlei Widerspruch duldete.

»Das ist noch nicht raus, weil das nämlich Putzel entscheidet «, sagte ich.

»Apropos Putzel … wo ist der eigentlich?«, fragte Annegret.

»Auf dem Dach«, sagte ich, begab mich mit dem Kätzchen auf dem Arm auf die Terrasse und pfiff nach Putzel, der prompt auf dem Dachfirst auftauchte und auf mich zu tippelte. An der Dachrinne oberhalb der Terrasse macht er Halt und peilte zu mir runter. Er war gerade im Begriff, auf den Tisch zu springen, so wie er das immer tat, als er plötzlich stutzte und mit aufgerissenen Augen auf meine Brust schaute. Reglos stand er da, nur sein Schwanz peitschte hin und her. Ein paar Sekunden blieb er so stehen, knurrte dann leise, drehte sich um und eilte zurück, in Richtung Dachfirst. Von dort gönnte er mir noch einen vorwurfsvollen Blick und entschwand auf die andere Dachseite.

»Das war’s also«, sagte ich, »das Kätzchen kannst du wieder mitnehmen.« Eine gewisse Genugtuung konnte ich nicht verhehlen. Auf die Gelegenheit, Annegret Paroli zu bieten, hatte ich schon lange gewartet.

»Es ist noch nicht aller Tage Abend«, meinte Annegret. »Das gibt sich, glaub mir.«

»Gar nichts gibt sich«, erwiderte ich, »du nimmst das Kätzchen wieder mit und damit Basta.«

»Ist ja gut, reg dich nicht auf. Komm, wir brutzeln wir uns erstmal was Leckeres … ich hab ’nen Mordshunger.«

Wir gingen in die Küche, wo wir uns anschickten, Nudeln mit Zitronensoße zu kochen. Genauer gesagt kochten nicht wir beide, sondern Annegret allein. Mit war es nicht möglich zu kochen, weil ich keine Hand frei hatte. Das Kätzchen lag immer noch an meiner Brust. Es schnurrte. Und es machte den Milchtritt an meinem Oberarm. Sanft bohrten sich die Spitzen seiner kleinen Krallen in meine Haut.

Später am Abend lud Richard sich gerade eine Portion Spaghetti auf den Teller, als er den Kopf hob und um sich schaute. »Wo ist eigentlich Putzel?«

Der Kater pflegte beim Essen immer neben ihm auf einem Stuhl zu sitzen und auf einen leckeren Happen zu lauern, was meistens (immer) von Erfolg gekrönt war.

»Der ist auf dem Dach«, sagte ich, »geflüchtet … vor dem Kätzchen.«

Wie auf Kommando schauten wir alle drei zum Sofa. Dort lag das Kätzchen und schlief. Eingeringelt zwischen den Kissen.

»Ach«, sagte Richard, »die ist ja sooo süß!«

»Ja, süß ist sie«, sagte ich, »aber das nutzt nichts. Wenn Putzel die Krise kriegt, können wir sie nicht behalten.«

»Mein Gott, er wird sich schon an sie gewöhnen«, meinte Richard, »außerdem sind zwei Katzen besser als eine.«

Annegret warf mir einen Siehst-du-Blick zu, ich revanchierte mich mit einem Kommt-nicht-infrage-Blick und stach meine Gabel in die Nudeln.

»Da ist er ja«, sagte Richard.

Ich drehte mich um. Putzel stand in der Terrassentür, peilte nach drinnen und schlich langsam und geduckt herein. Ganz offensichtlich traute er dem Frieden nicht. Aber das Kätzchen hatte sich so tief zwischen die Kissen gekuschelt, dass er es aus seiner Position nicht sehen konnte. Erleichtert tippelte er in die Küche, in Richtung Futternapf. Außer schlafen war fressen seine Lieblingsbeschäftigung.

Ein paar Minuten später kam er wieder raus, streckte sich und begann, sich ausgiebig zu putzen. Damit fertig, sprang er gut gelaunt aufs Sofa. Doch kaum oben angelangt, entdeckte er das Kätzchen und fuhr entsetzt zurück. Mit gesträubtem Fell blieb er ein paar Sekunden wie erstarrt stehen, knurrte, hob die Tatze und zog sie dem Kätzchen über den Kopf. Das schrie erschrocken auf, fegte vom Sofa, flitzte auf die Terrasse und entschwand unserem Sichtfeld, denn mittlerweile war es dunkel geworden draußen.
Putzel jagte hinterher und war ebenfalls nicht mehr zu sehen.

»Ach, du Schande«, schrie ich Annegret an und erhob mich erregt vom Stuhl. »Wenn sie jetzt vom Dach fällt? Du mit deinen blöden Ideen …«

»Mein Gott«, beschwichtigte Annegret, »die Kleine kann doch gar nicht auf die Brüstung springen, die finden wir gleich.«

Ich holte die Taschenlampe.

Wir suchten alles ab. Schauten in jede Ecke, hinter jeden Blumentopf, jeden Pflanzentrog. Keine Katze zu entdecken. Putzel war natürlich längst hinter dem Dachfirst abgetaucht. Das war klar. Aber wo war Mucki? Mit der Taschenlampe gingen wir schließlich nach unten, in den Garten. Denn wenn sie nicht oben war, war sie unten. Irgendwo musste sie schließlich sein. Wir schauten hinter jeden Busch, unter jeden Strauch, leuchteten in Baumkronen hinein, gingen rufend um den Block. Bei all dem begegneten uns auch etliche Katzen – Mucki war nicht dabei.

Annegret verabschiedete sich so gegen elf. Ziemlich zerknirscht und ziemlich schuldbewusst. Hätte ich mir keine Sorgen um das Kätzchen gemacht, hätte ich die Situation genossen. Aber ich machte mir nun mal Sorgen und genoss die Situation überhaupt nicht. Stattdessen suchte ich dauernd die Terrasse ab.
Richard dagegen war die Ruhe in Person, saß vor dem Fernseher und guckte eine Talkshow. »Jetzt mach doch nicht so ein Theater, die taucht schon wieder auf«, meinte er und nahm einen Schluck Rotwein.
Wo er diese Zuversicht her nahm, war mir ein Rätsel.

Die Turmuhr der nahe gelegenen Kirche schlug Mitternacht, als ich noch mal eine Runde durch den Garten machte und alles absuchte. Vergeblich. Ratlos gab ich auf und ging ins Bett. Mein Mann schnarchte leise, ich hingegen lag wach. Alle halbe Stunde stand ich auf und geisterte in der Wohnung und auf der Terrasse herum. Von Mucki keine Spur.

Am nächsten Morgen, ziemlich früh, um sieben Uhr, klingelte das Telefon. Die Nachbarin, die direkt unter uns wohnte, war am Apparat. Auf ihrem Balkon befände sich eine kleine Katze, sagte sie. Ob die uns gehöre.

»Ja«, rief ich, »die gehört uns.«

Ich warf mir den Bademantel um und rannte die Treppe runter. Die Nachbarin kam mir bereits entgegen, Mucki auf dem Arm. Die kleine Katze schaute mich munter an und schien unverletzt zu sein. Erleichtert nahm ich sie auf den Arm, wo sie sich sofort an mich drückte. Die Frage, ob wir sie behalten sollten, stellte sich nun nicht mehr, selbstverständlich behielten wir sie.

Putzel hat sich übrigens schnell an sie gewöhnt. Es dauerte keine zwei Wochen, und die Beiden schliefen Po an Po oder ineinander verknäult auf dem Sofa, oder in unserem Bett, oder auf der Fensterbank, oder an einem anderen ihrer Lieblingsplätze. Und wenn sie nicht schliefen, tollten sie durch die Wohnung und jagten hinter einander her. Es war eine Freude, ihnen zuzuschauen.

Ach ja – wie Mucki aufs Dach gekommen ist? Die kleine Birke hochgekraxelt. Von dort auf die Brüstung war’s im Sinn des Wortes nur noch ein Katzensprung. Dieses Kunststückchen hat sie uns immer wieder vorgeführt.

Vom Dach gepurzelt ist sie nicht mehr.


Die Geschichte ist aus meinem Katzenbuch: Auf leisen Sohlen

Ein Kommentar

  1. Liebe Renate,
    wie schön, dass Du nun häppchenweise Deine Geschichten präsentierst 😉 Deine Bücher, die ich im letzten Jahr bei Dir bestellt habe, stehen inzwischen nämlich leider noch immer ungelesen im Katzenregal …
    Bei Allegra in der Kleiderkammer kam ich im Winter dann doch nicht wie erhofft zum Lesen. Da war es mit den Mädchen zu turbulent, so dass wir unsere alte Dame bisweilen mehr betüddeln oder vor den allzu aufdringlichen Mädchen beschützen mussten. Dann kam schon bald nach Ostern die aufregende Freigängerzeit, dann die ungewöhnliche Hitzewelle – unter der ich auch ziemlich zu leiden hatte, und dann brauchte Allegra für den Rest ihres Lebens noch einiges an Aufmerksamkeit. Seitdem sind bei uns einige liebgewonnene Rituale abhanden gekommen. Und es gibt viel in Angriff zu nehmen, was schon seit dem Tod der Maus bzw. durch den Einzug der 3 Mädchen verschoben wurde oder einfach liegen geblieben ist. Einen ruhigen Moment um in der Kleiderkammer oder gar im Garten tagsüber mal etwas zu Lesen gab es seit Ankunft Deiner Bücher eigentlich nicht. Und wenn es dunkel ist, fällt mir das Lesen von Gedrucktem auf Papier inzwischen sehr schwer …
    Daher ist das hier eine schöne Lösung für mich!
    LG Silke

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