Der Katzenflüsterer

Samstagnachmittag, Ende Oktober. Es regnete in Strömen und war so kalt, dass es nicht verwundert hätte, wenn Schneeflocken statt Wassertropfen vom Himmel gefallen wären. So richtig ungemütliches Wetter.

Ich saß auf dem Sofa, den schlafenden Putzel auf dem Schoß. Richard saß im Sessel, die schlafende Mucki auf dem Schoß. Ich las ein Buch, Richard schaute eine seiner Lieblingssendungen: Tiere suchen ein Zuhause.

»Guck mal«, sagte Richard und deutete auf den Bildschirm, »ist die nicht niedlich?«
Ich hob den Kopf. Auf der Mattscheibe war eine Frau zu sehen, eine Katze auf dem Schoß. Die Katze war grau getigert, hatte die Augen ängstlich aufgerissen und schien auf die nächstbeste Gelegenheit zum Wegrennen zu lauern. Richard stand auf und ging zum Telefon.
»Was machst du denn da?«, fragte ich, wohlwissend, was er vorhatte.

»Ich ruf da jetzt an«, sagte Richard und tippte eine Nummer ein.

»Spinnst du?«, sagte ich.

»Nö, wieso?«, sagte Richard und grinste.

»Wir haben schon zwei Katzen!«

»Na und«, sagte Richard aufgeräumt und widmete sich dann dem Menschen am anderen Ende der Leitung. Ich fuchtelte mit den Händen und versuchte ihn dazu zu bringen, aufzulegen. Vergeblich.

»In einer halben Stunde sind wir da«, sagte er, nachdem er ein paar Minuten palavert hatte, und legte den Hörer auf.

»Komm, wir fahren«, sagte er.

»Du kannst allein fahren«, gab ich widerborstig zurück. Ich kann es nämlich nicht leiden, wenn jemand über meinen Kopf hinweg Entscheidungen trifft.

»Quatsch«, meinte Richard, »natürlich fährst du mit, gehörst schließlich zur Familie.« Er grinste. »Und wichtige Entscheidungen müssen gemeinsam gefällt werden.«

»Prima, dass dir das jetzt auch schon einfällt«, maulte ich, erhob mich vom Sofa und bettete Putzel behutsam neben Mucki auf den Sessel.

Es regnete immer noch in Strömen, als wir in einem Münchner Vorort herum kurvten, und nach einer Straße suchten, deren Name Richard vergessen hatte. Aufgeschrieben hatte er ihn auch nicht, weil er so ein phänomenales Gedächtnis hatte – wie er immer wieder betonte. Ein pitschnasser Passant konnte uns Gott sei Dank weiterhelfen, weil er die Frau kannte, nach deren Haus wir suchten. Seine Katze habe er auch von ihr, teilte er uns mit, während Regenwasser von seiner Hutkrempe auf meinen Arm tropfte.

Sie mache das ehrenamtlich und sei auf Spenden angewiesen, erzählte die Frau, als wir in ihrer Wohnküche standen. Ãœberall saßen oder lagen Katzen. Auf dem Tisch, auf dem Fensterbrett, auf der Anrichte, auf dem Kühlschrank, auf der Ablage über der Heizung, auf und unter den Stühlen. Schätzungsweise zwanzig Tiere befanden sich in dem nicht gerade großen Raum. Es roch nach Futter und Katzenpisse.

»Dort ist die Katze«, sagte die Frau und deutete auf einen Weidenkorb in der Ecke neben der Tür. »Sie ist scheu, aber das gibt sich.«

Große grüne Augen schauten uns durch das Drahtgitter kritisch an. Um das Grün herum hatten sie einen schwarzen Rand, wie mit Kajal geschminkt. Ich ging zum Korb, bückte mich, machte das Gitter auf und griff hinein. Die Katze fauchte und schlug mit der Pfote nach mir. Ich zog meine Hand zurück, hatte aber schon blutende Striemen darauf.

»Na, ich weiß nicht …«, sagte ich und leckte das Blut ab.

»Sie hat nur Angst«, beschwichtigte die Frau. »Die Feuerwehr hat sie letzte Woche gerettet, vom Balkon einer alten Dame, die gestorben ist. Die Nachbarin hat sie zufällig entdeckt.«

Sie warf der Katze einen mitleidigen Blick zu.

»Lass mich mal machen«, sagte Richard. Er nahm den Korb, stellte ihn auf den Tisch, kauerte sich davor und sprach eine Weile beruhigend auf die Katze ein. Dann schob er seine Hand langsam nach drinnen, streichelte der Katze den Kopf und packte sie dann vorsichtig am Genick. Widerstandslos ließ sie sich herausziehen.

»Man nennt mich auch den Katzenflüsterer«, meinte er selbstzufrieden. Die Katze lag ganz friedlich auf seinem Arm und vergrub ihr Näschen in seiner Achsel.

Langsam näherte ich mich. »Na, du kleines Schnuffeltier«, sagte ich leise und kraulte sie zwischen den Ohren, »magst du mit uns nach Hause kommen?«

»Klar mag sie«, sagte Richard und schob die Katze unter seine Jacke. Nur ihr Kopf guckte raus.

Nachdem wir einen Kaffee getrunken und ein Stück selbst gebackenen, sehr leckeren Apfelkuchen gegessen hatten, machten wir uns auf den Nachhauseweg. Die Katze, die wir übereinstimmend Schnuffi getauft hatten, lag immer noch unter Richards Jacke.

Mit Putzel gab es keine Probleme. Die beiden Katzen beschnupperten sich und das war’s. Mucki dagegen war über die Konkurrenz überhaupt nicht erfreut. Sie fauchte und briet Schnuffi eine über. Schnuffi quittierte die Attacke mit einer lautstarken Gegenattacke, hastete weg und verkroch sich im Kleiderschrank, der eigentlich kein Schrank war, sondern eine Zimmernische mit Vorhang. Dort verbrachte sie den Abend, regungslos im hintersten Winkel. Sobald ich nach ihr schaute, fauchte sie mich an.

Auch der Katzenflüsterer hatte keinen Erfolg.

»Das gibt sich«, meinte er, »irgendwann hat sie Hunger und kommt raus.«

»Und wenn sie mal muss?«

»Dann pinkelt sie in deine Schuhe«, sagte der Katzenflüsterer, grinste und tätschelte meinen Po.

Irgendwann in der Nacht kam Schnuffi tatsächlich raus. Allerdings pinkelte sie hat nicht in meine Schuhe, sondern benutzte das Katzenklo, und den Fressnapf in der Küche futterte sie auch leer. Es konnte nur sie gewesen sein, denn Putzel und Mucki hatten wir vorsichtshalber ins Arbeitszimmer verfrachtet. Dort miauten sie zwar gottserbärmlich und scharrten an der Tür, aber da mussten sie jetzt durch. Schnuffi wieder zurückzubringen, zogen wir nicht in Erwägung – obwohl die Frau es angeboten hatte.

Ungefähr eine Woche, und alle drei hockten in der Küche und nahmen gemeinsam ihre Mahlzeiten ein. In separaten Schüsseln selbstverständlich und mit gebührendem Abstand zueinander.

katzenEine weitere Woche später lagen Schnuffi und Putzel Seite an Seite in unserem Bett. Mucki dagegen machte immer einen großen Bogen um die neue Mitbewohnerin, aber wenigstens gab es keine Raufereien mehr. Von Katzenfreundschaft zwischen den beiden Damen konnte allerdings nicht die Rede sein. Sie akzeptierten sich – notgedrungen.

Katzenbuch


Die Geschichte stammt aus meinem ersten Katzenbuch: Auf leisen Sohlen

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