Kategorie: Katzenbücher

Seit 35 Jahren lebe ich mit Katzen zusammen – diesen wunderbaren und zauberhaften Tieren. Jeden Tag bringen sie mich zum Schmunzeln und Lachen. Wir schmusen miteinander, wir spielen Fangen in der Wohnung, wobei ich natürlich hoffnungslos verlieren.
Mit Katzen zu leben, ist ein Glück. Und darüber schreibe ich in meinen Katzenbüchern. Aber auch über die Sorgen, wenn sie krank sind, ober über den großen Schmerz, wenn der Abschied gekommen ist.

Immer wieder sonntags

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Kennen Sie „Murphys Gesetz“? Viel­­leicht ist Ihnen der Begriff nicht geläufig, aber was dahinter steckt, das kennen Sie bestimmt.

Bei Murphys Gesetz handelt es sich um die Widrigkeiten des Alltags. Drei Beispiele: Es regnet immer dann, wenn man sein Auto frisch gewaschen hat. Man kriegt den ganzen Tag keinen Anruf, aber sobald man unter der Dusche steht, klingelt das Telefon garantiert. Eine Scheibe Butterbrot fällt immer auf die beschmierte Seite … und so weiter. Murphys Liste ist beliebig erweiterbar, und ein zusätzlicher Punkt darauf könnte lauten: Katzen verletzen sich nur dann, wenn der Tierarzt keine Sprechstunde hat.

Unter diesem Aspekt war es natürlich Sonntag. Erschwerend kam hinzu, dass es sich nicht um einen normalen Sonntag handelte, sondern um Ostersonntag, ein Zeitpunkt, zu dem die Leute – auch Tierärzte – gern verreisen. Also, es war Ostersonntag, drei Uhr nachmittags. Frisch geduscht saß ich nach dem Joggen auf dem Sofa und wollte es mir gerade mit ein paar Käsehäppchen und einem schönen Film gemütlich machen, als Lieschen vom Strawanzen zurückkam.

Normalerweise tippelt sie in so einem Fall in die Küche, schaut nach, ob noch irgendein Rest in ihrem Futternapf liegt (dort liegt aber nie ein Rest, weil sie grundsätzlich alles bis aufs letzte Krümelchen vertilgt), dann wirft sie mir einen vorwurfsvollen Blick zu und eilt die Treppe zur Galerie hoch um dort an ihrem bevorzugten Schlafplatz (mein ehemaliger Wollkorb, den sie in ihrem Sinn umfunktioniert hat) ein Nickerchen zu machen. Normalerweise verläuft das so. Normalerweise! Aber nicht, wenn ich auf dem Sofa sitze und etwas esse. Ist das nämlich der Fall, wird das ewig hungrige Lieschen plötzlich sehr anhänglich, rennt nicht die Galerie hoch, sondern hüpft auf meinen Schoß, gibt mir herzinnigliche Nasenstüber (falsches Luder!) und schielt mit begehrlichem Blick auf meine Leckerbissen – von denen sie hin und wieder (eigentlich immer) etwas ab bekommt, vor allem, wenn es sich um Käse handelt. Lieschen ist ganz wild auf Käse! Zwar hat sie gegen Artischocken, Tomaten, Oliven (!) und Spaghetti auch nichts einzuwenden, aber Käse ist ihr ultimatives Lieblingsschmankerl.

Kaum hockte sie neben mir, entdeckte ich auch schon das Malheur: eine zwei Zentimeter lange, klaffende Wunde in ihrer Vorderpfote. Vermutlich war sie mal wieder an einem Drahtzaun hängen geblieben. Während Felix sich bei lautstarken Revierkämpfen mit seinem Lieblingsfeind regelmäßig üble Biss- und Kratzwunden zuzieht, die draufgängerische Lili, bis auf ein einziges Mal, ohne Blessuren nach Hause kommt, bleibt Lieschen immer wieder an Maschendraht­zäunen hängen. Warum das nur ihr passiert, ist mir ein Rätsel – denn alle drei streifen durch das dasselbe Revier.

Als ich mir die Verletzung näher anschaute, wusste ich sofort, die muss fachmännisch versorgt werden. Meine Tierärztin hatte mir versichert, irgendjemand aus ihrer Praxis sei immer zu erreichen, zuversichtlich griff ich also zum Telefonhörer. Ich ließ es sehr lange läuten, keiner ging ran. Schließlich meldete sich die Mailbox. Mist! Was nun? Ich rief den Tierarzt im Nachbardorf an. Anrufbeantworter! Dasselbe beim Tierarzt zwei Dörfer weiter.

Ich suchte im Telefonbuch nach einer Tierklinik und wurde fündig. Eine Stunde später lag Lieschen in Narkose und wurde versorgt. Vier kleine Fäden hielten die Wunde zusammen, ich brachte mein Kätzchen wieder nach Hause, wo ich sie in mein Arbeitszimmer sperrte, weil ich nicht wollte, dass sie in ihrem benommenen Zustand die Katzenleiter runterpurzelt – Lieschen liebt die Freiheit, und würde keine Stunde freiwillig im Haus bleiben.

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Während der folgenden vier Tage entwickelte sich die Wunde gut und schien schön zu heilen, am fünften Tag allerdings entdeckte ich in der Mitte der Naht eine entzündete Stelle. Also beobachten! Am nächsten Morgen, es war natürlich Samstag, hüpfte Lieschen nach ihrem nächtlichen Ausflug in mein Bett, und ich warf sofort einen Blick auf die Naht. Sie war aufgebrochen, lose hingen die Fäden an den Wund­rändern. Oh Mann!

Dieses Mal war die Tierärztin Gott sei Dank gleich am Telefon und ich mit Lieschen eine halbe Stunde später in der Praxis. Dort wurden die restlichen Fäden gezogen, die Wunde gesäubert und dann nicht wieder genäht, sondern getackert. Ja, richtig gelesen! Mit einer Art Heftmaschine wurden drei kleine Metallklammern durch die Wund­ränder ge­­schossen. Tack, tack, tack – fertig. Lieschen zuckte nicht mal mit der Wimper, so schnell ging das. Und die kostspielige und auch nicht gerade gesunde Vollnarkose war damit überflüssig geworden. Prima Methode!

Drei Tage später hatte sich eine der Klammern zur Hälfte gelöst und baumelte wie ein Pearcing an Lieschens Pfote. Kurz entschlossen nahm ich eine kleine Zange und versuchte, die Klammer ganz raus zu ziehen. Dazu muss man wissen, dass Lieschen sich zwar mit endloser Geduld Zecken an Kopf und Hals entfernen lässt, es aus irgendeinem Grund aber nicht ausstehen kann, wenn ich an ihren Pfoten herumfummele. Sie schreit wie am Spieß und wehrt sich, als stünde ihr Leben auf dem Spiel. Irgendwie hab ich es aber dann doch geschafft, die Klammer war draußen. Allerdings nicht ohne Tribut: mein T-Shirt war durchlöchert, und an Armen und Oberschenkel lief mir das Blut runter. Die gleiche Prozedur fand dann zwei Tage später statt – mit den beiden anderen Klammern.

Seitdem ist – toi, toi, toi – nichts mehr passiert. Und da es außer Murphys Gesetz auch noch das der Serie gibt, gehe ich jetzt davon aus, dass die nächste Verletzung nicht auf sich warten lässt. Denn innerhalb von zwei Jahren hat sich Lieschen bereits fünfmal die Pfote aufgerissen, einmal mit aufwändiger Operation und einer Woche Stubenarrest, was überhaupt nicht lustig war, weder für sie noch für mich. Aber auch das Gesetz der Serie findet früher oder später sein Ende. Das hoffe ich zumindest!

P. S.: Vergeblich gehofft! Kaum vier Monate später kam Lieschen wieder mit einer Verletzung. An derselben Pfote. Und es war natürlich wieder Sonntag. Gottseidank war die Wunde nicht so schwerwiegend, dass sie ärztlich behandelt werden musste. Ich habe Calendula-Salbe drauf gestrichen, und da Katzen ein erstaunliches Selbstheilungsvermögen haben, war die Pfote ein paar Tage später wieder wie neu.


Die Geschichte ist aus “Das kunterbunte Katzenbuch”

Pelziges Mitbringsel

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»Hallo Renate!« Annegret war am Telefon. »Wollt ihr ’ne Katze adoptieren?«

»Nö«, sagte ich, »wir haben doch schon eine.«

»Na und, das macht doch nichts, im Gegenteil. Eine Single-Katze fühlt sich einsam.«

»Putzel fühlt sich überhaupt nicht einsam!«

»Katzen brauchen Artgenossen.«

»Putzel nicht!«

»Das kannst du gar nicht wissen, das musst du ausprobieren. Am besten gleich heute Abend. Ich komm vorbei und ich bring das Kätzchen mit.«

»Kommt ja gar nicht in Frage …«, wollte ich entgegnen, aber Annegret ließ mich nicht zu Wort kommen.
»Wenn’s Stress gibt, kann ich’s ja wieder mit nach Hause nehmen«, sagte sie.

Da Annegret seit vielen Jahren meine Freundin war, wusste ich, Widerspruch war zwecklos. Sie würde die Katze hier her schleppen, mit oder ohne mein Einverständnis.

»Guck mal, ist die nicht niedlich?«, sagte Annegret am Abend und streckte mir ein grau getigertes Kätzchen entgegen.

»Nimm sie mal.«

Sie drückte mir das Kätzchen in die Arme. Es kuschelte sich sofort an meine Brust und begann zu schnurren.

»Immer muss alles nach deinem Kopf gehen«, brummte ich und streichelte das Kätzchen. Sein Fell war flauschig und weich, und die Spitzen der Ohren sahen aus wie kleine Pinselchen.

»Sie heißt Mucki«, sagte Annegret, »aber du kannst sie natürlich auch anders nennen«, fügte sie beflissen hinzu.

»Ich weiß doch gar nicht, ob ich sie nehme«, sagte ich.

»Natürlich nimmst du sie«, meinte Annegret, wieder mit diesem Ton in der Stimme, der keinerlei Widerspruch duldete.

»Das ist noch nicht raus, weil das nämlich Putzel entscheidet «, sagte ich.

»Apropos Putzel … wo ist der eigentlich?«, fragte Annegret.

»Auf dem Dach«, sagte ich, begab mich mit dem Kätzchen auf dem Arm auf die Terrasse und pfiff nach Putzel, der prompt auf dem Dachfirst auftauchte und auf mich zu tippelte. An der Dachrinne oberhalb der Terrasse macht er Halt und peilte zu mir runter. Er war gerade im Begriff, auf den Tisch zu springen, so wie er das immer tat, als er plötzlich stutzte und mit aufgerissenen Augen auf meine Brust schaute. Reglos stand er da, nur sein Schwanz peitschte hin und her. Ein paar Sekunden blieb er so stehen, knurrte dann leise, drehte sich um und eilte zurück, in Richtung Dachfirst. Von dort gönnte er mir noch einen vorwurfsvollen Blick und entschwand auf die andere Dachseite.

»Das war’s also«, sagte ich, »das Kätzchen kannst du wieder mitnehmen.« Eine gewisse Genugtuung konnte ich nicht verhehlen. Auf die Gelegenheit, Annegret Paroli zu bieten, hatte ich schon lange gewartet.

»Es ist noch nicht aller Tage Abend«, meinte Annegret. »Das gibt sich, glaub mir.«

»Gar nichts gibt sich«, erwiderte ich, »du nimmst das Kätzchen wieder mit und damit Basta.«

»Ist ja gut, reg dich nicht auf. Komm, wir brutzeln wir uns erstmal was Leckeres … ich hab ’nen Mordshunger.«

Wir gingen in die Küche, wo wir uns anschickten, Nudeln mit Zitronensoße zu kochen. Genauer gesagt kochten nicht wir beide, sondern Annegret allein. Mit war es nicht möglich zu kochen, weil ich keine Hand frei hatte. Das Kätzchen lag immer noch an meiner Brust. Es schnurrte. Und es machte den Milchtritt an meinem Oberarm. Sanft bohrten sich die Spitzen seiner kleinen Krallen in meine Haut.

Später am Abend lud Richard sich gerade eine Portion Spaghetti auf den Teller, als er den Kopf hob und um sich schaute. »Wo ist eigentlich Putzel?«

Der Kater pflegte beim Essen immer neben ihm auf einem Stuhl zu sitzen und auf einen leckeren Happen zu lauern, was meistens (immer) von Erfolg gekrönt war.

»Der ist auf dem Dach«, sagte ich, »geflüchtet … vor dem Kätzchen.«

Wie auf Kommando schauten wir alle drei zum Sofa. Dort lag das Kätzchen und schlief. Eingeringelt zwischen den Kissen.

»Ach«, sagte Richard, »die ist ja sooo süß!«

»Ja, süß ist sie«, sagte ich, »aber das nutzt nichts. Wenn Putzel die Krise kriegt, können wir sie nicht behalten.«

»Mein Gott, er wird sich schon an sie gewöhnen«, meinte Richard, »außerdem sind zwei Katzen besser als eine.«

Annegret warf mir einen Siehst-du-Blick zu, ich revanchierte mich mit einem Kommt-nicht-infrage-Blick und stach meine Gabel in die Nudeln.

»Da ist er ja«, sagte Richard.

Ich drehte mich um. Putzel stand in der Terrassentür, peilte nach drinnen und schlich langsam und geduckt herein. Ganz offensichtlich traute er dem Frieden nicht. Aber das Kätzchen hatte sich so tief zwischen die Kissen gekuschelt, dass er es aus seiner Position nicht sehen konnte. Erleichtert tippelte er in die Küche, in Richtung Futternapf. Außer schlafen war fressen seine Lieblingsbeschäftigung.

Ein paar Minuten später kam er wieder raus, streckte sich und begann, sich ausgiebig zu putzen. Damit fertig, sprang er gut gelaunt aufs Sofa. Doch kaum oben angelangt, entdeckte er das Kätzchen und fuhr entsetzt zurück. Mit gesträubtem Fell blieb er ein paar Sekunden wie erstarrt stehen, knurrte, hob die Tatze und zog sie dem Kätzchen über den Kopf. Das schrie erschrocken auf, fegte vom Sofa, flitzte auf die Terrasse und entschwand unserem Sichtfeld, denn mittlerweile war es dunkel geworden draußen.
Putzel jagte hinterher und war ebenfalls nicht mehr zu sehen.

»Ach, du Schande«, schrie ich Annegret an und erhob mich erregt vom Stuhl. »Wenn sie jetzt vom Dach fällt? Du mit deinen blöden Ideen …«

»Mein Gott«, beschwichtigte Annegret, »die Kleine kann doch gar nicht auf die Brüstung springen, die finden wir gleich.«

Ich holte die Taschenlampe.

Wir suchten alles ab. Schauten in jede Ecke, hinter jeden Blumentopf, jeden Pflanzentrog. Keine Katze zu entdecken. Putzel war natürlich längst hinter dem Dachfirst abgetaucht. Das war klar. Aber wo war Mucki? Mit der Taschenlampe gingen wir schließlich nach unten, in den Garten. Denn wenn sie nicht oben war, war sie unten. Irgendwo musste sie schließlich sein. Wir schauten hinter jeden Busch, unter jeden Strauch, leuchteten in Baumkronen hinein, gingen rufend um den Block. Bei all dem begegneten uns auch etliche Katzen – Mucki war nicht dabei.

Annegret verabschiedete sich so gegen elf. Ziemlich zerknirscht und ziemlich schuldbewusst. Hätte ich mir keine Sorgen um das Kätzchen gemacht, hätte ich die Situation genossen. Aber ich machte mir nun mal Sorgen und genoss die Situation überhaupt nicht. Stattdessen suchte ich dauernd die Terrasse ab.
Richard dagegen war die Ruhe in Person, saß vor dem Fernseher und guckte eine Talkshow. »Jetzt mach doch nicht so ein Theater, die taucht schon wieder auf«, meinte er und nahm einen Schluck Rotwein.
Wo er diese Zuversicht her nahm, war mir ein Rätsel.

Die Turmuhr der nahe gelegenen Kirche schlug Mitternacht, als ich noch mal eine Runde durch den Garten machte und alles absuchte. Vergeblich. Ratlos gab ich auf und ging ins Bett. Mein Mann schnarchte leise, ich hingegen lag wach. Alle halbe Stunde stand ich auf und geisterte in der Wohnung und auf der Terrasse herum. Von Mucki keine Spur.

Am nächsten Morgen, ziemlich früh, um sieben Uhr, klingelte das Telefon. Die Nachbarin, die direkt unter uns wohnte, war am Apparat. Auf ihrem Balkon befände sich eine kleine Katze, sagte sie. Ob die uns gehöre.

»Ja«, rief ich, »die gehört uns.«

Ich warf mir den Bademantel um und rannte die Treppe runter. Die Nachbarin kam mir bereits entgegen, Mucki auf dem Arm. Die kleine Katze schaute mich munter an und schien unverletzt zu sein. Erleichtert nahm ich sie auf den Arm, wo sie sich sofort an mich drückte. Die Frage, ob wir sie behalten sollten, stellte sich nun nicht mehr, selbstverständlich behielten wir sie.

Putzel hat sich übrigens schnell an sie gewöhnt. Es dauerte keine zwei Wochen, und die Beiden schliefen Po an Po oder ineinander verknäult auf dem Sofa, oder in unserem Bett, oder auf der Fensterbank, oder an einem anderen ihrer Lieblingsplätze. Und wenn sie nicht schliefen, tollten sie durch die Wohnung und jagten hinter einander her. Es war eine Freude, ihnen zuzuschauen.

Ach ja – wie Mucki aufs Dach gekommen ist? Die kleine Birke hochgekraxelt. Von dort auf die Brüstung war’s im Sinn des Wortes nur noch ein Katzensprung. Dieses Kunststückchen hat sie uns immer wieder vorgeführt.

Vom Dach gepurzelt ist sie nicht mehr.


Die Geschichte ist aus meinem Katzenbuch: Auf leisen Sohlen

Auf Samtpfoten direkt in mein Herz

Eine Geschichte aus dem Buch “Auf Samtpfoten direkt in mein Herz”

Er ist der Nachfolger meiner großen Liebe, dem schielenden Kater Fritz. Ungefähr ein halbes Jahr war er alt, als ich ihn entdeckte.

Fritzchen hatte gerade mal zwei Tage zuvor seine Reise in den Katzenhimmel angetreten, als Freunde meinten, ein kleines Kätzchen sei bestimmt gut für mein trauriges Gemüt. Ein pelziges Trostpflaster sozusagen. Im ersten Moment empfand ich das als pietätlos, sah dann aber schnell ein, dass meine einsame Trauer niemandem etwas nützen würde. Weder Fritzchen noch mir. Seine Seele schien immer noch um mich herumzuschweben, ich träumte von ihm, und wenn ich nach Hause kam, empfand ich die katerlose Wohnung als trist und leer. Also machte ich mich auf den Weg. Nicht ins Tierheim, sondern zu einer Frau, die so eine Art Auffangstation für unerwünschte und ausgesetzte Katzen unterhält. Auf engem Raum wuselten ungefähr zwanzig Katzen herum, unter anderem ein kleiner Kater, gemustert wie eine norddeutsche Schwarz-Weiß-Kuh. Er zitterte, schaute mich mit weit aufgerissenen grünen Augen verängstigt an, und in diesem „Augenblick“ wusste ich, dass genau dieses Kuhkaterchen es sein musste, mit dem ich nach Hause fahren würde. Und ich gab dem unglücklich dreinschauenden Kater spontan den Namen Felix. Felix, der Glückliche.

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Felix, der noch Unglückliche, hatte keine guten Erfahrungen mit Menschen gemacht. „Der Bauer hat ihn aus dem Stadel geprügelt“, berichtete die tierliebende Frau. Vermutlich hatte sie recht, denn die ersten Wochen verbrachte Felix mehr oder weniger unterm Sofa, nur zum Fressen verließ er sein Refugium. In geduckter Hab-Acht-Haltung schlich er in die Küche, verputzte ruckzuck sein Futter und flitzte dann wieder unters schützende Sofa. Ich ließ ihn in Ruhe, und allmählich entwickelte er Vertrauen. Statt unter dem Sofa lag er immer öfter oben drauf, zwischen die Kissen gekuschelt. Allmählich begann er dann, sein neues Zuhause zu erkunden, wanderte durch die Räume, schnupperte an den Pflanzen auf Terrasse und Balkon und irgendwann tippelte er auch die Treppe zur Galerie hoch. Von da an schlief er in meinem Bett.

Felix sollte ein Wohnungskater sein. Das schien mir sicherer. Fritzchen hatte ich zwar rausgelassen, aufgrund seines vorsichtigen Wesens aber keine Angst, dass er Reißaus nehmen könnte. Er war immer in Sichtweite geblieben, und wenn ich nach ihm gerufen oder gepfiffen hatte, kam er angerannt – wie ein Hündchen. Ob Felix auch so „brav“ sein würde, wusste ich nicht, und wollte es auch gar nicht drauf ankommen lassen. So unternahm er seine Ausflüge nur aufs Dach, schaute auf dem First den Vögeln nach, nahm Sonnenbäder auf der Terrassenbrüstung, döste in Blumenkübeln und drückte dabei die Pflanzen platt. Alles in allem schien er mit seinem Leben als Wohnungskatze zufrieden zu sein. Doch eines Tages war er verschwunden. Nichts zu sehen von ihm. Auf dem Dach nicht, auf der Terrasse nicht, auf dem Balkon auch nicht. Ich untersuchte die ganze Wohnung, schaute unters Bett und in jedes Regal und steckte meinen Kopf im Schrank unter die Klamotten – keine Spur von Felix. Das gibt‘s doch nicht. Wo hatte der Racker sich nur versteckt? Dass Katzen diese Disziplin perfekt beherrschen, hatte ich längst mitgekriegt. Die pelzigen Mitbewohner finden Raum im kleinsten Winkel. Aber irgendwann entdeckt man sie doch – vielleicht. Meistens allerdings verlassen sie ihr Versteck von allein, wenn sie Hunger haben zum Beispiel.

Mein Kuhkater tauchte nicht auf. Dass er im Gegensatz zu Fritzchen durchaus nicht immer kommt, wenn ich nach ihm rufe, war mir schon geläufig. Vielleicht hockte er auf der anderen Dachseite auf der Schornsteinfeger-Leiter, ließ sich dort von der Nachmittagssonne den Pelz wärmen und den Herrgott einen guten Mann sein. Ich ging nach unten in den Garten und graste mit meinem Blick die andere Dachseite ab. Nichts zu entdecken von Felix. Ratlos schaute ich mich um, als plötzlich eine Art weißer Blitz durch die Sträucher huschte. Felix. Wie war der kleine Schlawiner denn in den Garten gelangt? Na ja, vermutlich in einem günstigen Moment durch die Wohnungstür entwischt. Vielleicht, als der Briefträger mir Post überreichte oder ich Müll rausbrachte.

Nach längerer Jagd, die ihm sichtlich Spaß machte, konnte ich den Ausreißer einfangen und nach oben tragen. Wenige Minuten später rannte er bereits wieder durch den Garten. Nicht durch magische Kräfte eines überirdischen Wesens dort hin gezaubert, sondern durch seinen unbändigen Freiheitsdrang. Denn kaum hatte ich ihn im Wohnzimmer auf die Füße gestellt, spurtete er auf die Terrasse, sprang leichtfüßig auf die Brüstung, von dort aufs Dach, lief zielstrebig in Richtung Dachfirst und entschwand meinem Blickfeld. Ich eilte zum Balkon, streckte meinen Oberkörper übers Geländer und bekam gerade noch mit, wie der Ausreißer in der Regenrinne der anderen Dachseite stand, sich duckte, zum Sprung ansetzte und wenige Sekunden später auf allen Vieren geschmeidig im Garten landete, genau zwischen Katzenminze und Pfingstrosen. Drei Meter im freien Fall waren für den kleinen Burschen ein Klacks, damit hatte ich nicht gerechnet. Von da an war mein Kater ein Freigänger. Allerdings ließ ich mir vom Schreiner eine Katzenleiter anfertigen. Felix konnte zwar die drei Meter nach unten leicht überwinden, hochspringen konnte er sie allerdings nicht. Und ich hatte keine Lust, für Herrn Kater die Türöffnerin zu spielen.

Elf Jahre ist das Ganze nun her, und Felix genießt seine Freiheit, was ich gut verstehe. Es macht schließlich mehr Spaß, sich im Gras rumzuwälzen, durchs Unterholz zu streichen, die Nachbargärten zu inspizieren und im nahe gelegenen Wäldchen auf Pirsch zu gehen, als tagein, tagaus auf derselben Terrasse rumzulümmeln. Es ist doch viel aufregender, Mäuse, Blindschleichen, Frösche und anderes Getier zu erbeuten, als das Futter vor die Nase gestellt zu bekommen. Es ist doch viel spannender, seinen Lieblingsfeind, den Nachbarkater, nicht nur von oben zu beobachten, sondern ihm gut getarnt unter einem Strauch auflauern, im richtigen Moment von hinten angreifen und dann richtig verdreschen zu können. Schließlich war Felix zuerst hier. Der Garten ist sein Revier, und das gilt es, zu verteidigen. Entschlossen, lautstark, mit fliegenden Fellfetzen und leider auch mit regelmäßigen Verletzungen. So ist es dem Rivalen doch tatsächlich gelungen, Felix‘ Nickhaut an einem Auge zur Hälfte aufzuschlitzen. Dass der Augapfel dabei nichts abbekommen hat, grenzt an ein Wunder. Bis auf diese Rivalität und die damit zusammenhängenden Kämpfe ist Felix ein ausgesprochen ausgeglichener und friedfertiger Zeitgenosse. Er faucht nicht, er beißt nicht und er kratzt nicht. Er lässt Möbel und Vorhänge in Ruhe und er klaut nicht. Felix zeigt die Gelassenheit eines Buddhas. So ein östlicher Zeitgenosse ist mir zwar noch nicht persönlich über den Weg gelaufen, aber ich stelle mir seine Gemütsverfassung so vor: Stets entspannt im Hier und Jetzt und von der Überzeugung erfüllt, dass alles im Leben seinen Sinn hat und es demzufolge unsinnig ist, sich über Widrigkeiten aufzuregen oder sie gar bezwingen zu wollen. Nein, man sollte die Dinge des Lebens so nehmen, wie sie kommen. Damit erträgt man sie am leichtesten. Genauso kommt Felix mir vor, er ist die Katze gewordene Gelassenheit.

Er hockt auch nicht vor dem leeren Futternapf und nervt wie Lies-chen mit lautem, ungeduldigem Geschrei. Nein, wenn Felix Hunger hat, und er hat oft Hunger, sitzt er stumm vor dem Napf, stiert unbeweglich geradeaus und weiß genau, dass ich diese lautlose Vorwurfshaltung nicht lange ertrage, sondern ihn mit Nahrung versorge. Ist er gesättigt, hockt er sich trotz vorhandener Katzenklappe mit ähnlich starrem Blick vor die Terrassentür. Zumindest in kühlen und kalten Jahreszeiten – bei warmen Temperaturen steht die Tür offen.

Manchmal lasse ich es drauf ankommen und beobachte ihn aus dem Augenwinkel. Reglos wie eine Statue hockt er vor der Tür und schaut durch die Scheibe. Unendlich lang. Ich sagte ja bereits, er ist die personifizierte Gelassenheit und verfügt über erstaunliche Ausdauer. Zwischendurch allerdings dreht er den Kopf zu mir und bedenkt mich mit einem vorwurfsvollen Blick. Meistens öffne ich dann die Tür. Aber eben nicht immer. Manchmal grinse ich in mich hinein und bleibe stur. Hat er das irgendwann begriffen, tappt er gottergeben zur Katzenklappe. Während Lili wie ein geölter Blitz durch die Klappe schießt, hockt er sich erst mal davor und überlegt, ob sich nicht doch eine andere Möglichkeit findet, nach draußen zu gelangen. Zumindest vermittelt er diesen Eindruck. Nachdem keine Alternative in Sicht ist, zwängt er sich umständlich, missmutig und sehr langsam durch die Klappe. Erst die rechte Vorderpfote, dann der Kopf, dann die linke Vorderpfote, dann folgt der Rest. Auf der Terrasse angelangt, nimmt er wieder erstmal Platz und schaut verträumt in den Himmel. Dann steht er auf, streckt sich ausgiebig, hüpft auf den Blumenkübel und von dort auf die Terrassenbrüstung. Dort nimmt er wieder Platz und denkt nach. Worüber? Keine Ahnung. Hat er lange genug nachgedacht, erhebt er sich, tippelt an den Blumentöpfen vorbei aufs Dach und dort zielstrebig in Richtung Katzenleiter, die an der Regenrinne befestigt ist und steil nach unten führt. An der Katzenleiter angelangt, nimmt er auch wieder erst Platz und legt seine vorläufig letzte Denkpause ein. Die kann Minuten dauern, schließlich hat er keine Eile. Irgendwann rafft er sich auf und beginnt den Abstieg. Sein Kopf verschwindet in den Zweigen eines Forsythienstrauches, zum Schluss sehe ich nur noch die hoch aufgerichtete schwarze Schwanzspitze, dann ist er weg.

Wenn ich fix einen Stock höher laufe und aus dem Westfenster schaue, kriege ich gerade noch mit, wie er unten im Garten aus dem Gebüsch kriecht und zielstrebig zum Nachbargrundstück stiefelt. Dort quetscht er sich unterm Gartenzaun durch, schlendert über die Wiese und entschwindet meinem Blickfeld. Bis er wieder auftaucht, vergehen Stunden. Keine Ahnung, was er in dieser Zeit macht. Ob er im Wäldchen rumstromert oder bei den Nachbarn einfach unter einem Strauch sein Nickerchen hält – ich werde es wohl nie erfahren. Auf alle Fälle ist er immer in der Nähe. Denn wenn ich pfeife, kommt er angezockelt. Meistens. Aber nicht immer. An heißen Sommertagen zum Beispiel kann ich pfeifen, solange ich will, er reagiert nicht. Liegt bestimmt irgendwo im Schatten und denkt (mal wieder): „Lass sie doch pfeifen, bei der Hitze bewege ich mich keinen Millimeter von hier weg.“

Einmal allerdings haben mir Nachbarn ein Foto geschickt. Mein Kater faul auf ihrem Gartentisch, im Schatten eines Apfelbaumes. Immerhin ein kleiner Hinweis, wo mein pelziger Untermieter so rumlungert. Ich habe schon damit geliebäugelt, ihm eine kleine Kamera um den Hals zu binden, die alle paar Sekunden eine Aufnahme macht – gibt es tatsächlich, für genau solche Zwecke – weil es mich doch sehr interessiert, was er so alles treibt auf seinen Ausflügen. Aber es ist dann bei der Liebäugelei geblieben. Ich muss ja nicht alle Geheimnisse meines Mitbewohners aufdecken. Ein bisschen Privatsphäre braucht schließlich jeder. Auch ein Kuhkater.


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Auf Samtpfoten direkt in mein Herz

Eine Liebeserklärung an meine vier Leisetreter – in Buchform. Wie sie mir über den Weg gelaufen sind, was ich mit ihnen erlebt habe, was für wunderbare Charaktere sie haben. Welches Glück und welche Sorgen sie mir bereitet haben. “Auf Samtpfoten direkt in mein Herz” ist ein kleiner Querschnitt durch mein Leben mit diesen zauberhaften Geschöpfen.

Hier eine Geschichte daraus:

katzenbuchDas Aroma der Katzen
Im Gegensatz zu Hunden riechen Katzen sehr lecker. Meine zumindest. Deshalb stecke ich meine Nase mit Wonne in den Pelz meiner Untermieter und jeder riecht anders.
Das Fell von Felix riecht nach Schaf. Vor allem, wenn er sich eine Weile im Regen herumgetrieben hat – was er gern macht. Ja, da staune ich jedes Mal aufs Neue. Es schüttet wie aus Kübeln und mein Kater verkriecht sich nicht an einem geschützten, trockenen Plätzchen, sondern spaziert munter in der Gegend rum. Denn wie oft kommt er pitschnass nach Hause … In so einem Fall riecht er ganz intensiv nach Schaf, nach Schafwolle besser gesagt, denn ich muss zugeben, dass ich noch nie an einem Schaf gerochen habe. Aber ich weiß, wie nasse Schafwolle riecht, denn als Kind trug ich – an kalten Tagen – aus Schafwolle gestrickte Pullover. Und damals rannte ich mit Begeisterung im Regen oder Schneegestöber herum. Ohne Schirm natürlich. Und nach diesen Ausflügen roch mein Pullover genauso wie mein nasser Felix.

Lieschens Fell erinnert an warme Kuhmilch. Dieser Geruch ist mir bestens vertraut – ebenfalls aus meiner Kindheit, wo ich jeden Abend mit einer verbeulten Blechkanne beim Nachbarn Milch holte. Oft war sie noch kuhwarm, von der Bäuerin frisch gemolken und im Stall durch ein Filtersieb in meine kleine Kanne gegossen. Ich hob die Kanne an meinen Mund, ließ mir die köstliche Flüssigkeit durch die Kehle rinnen und die Nachbarkinder schüttelten sich vor Ekel. Die hatten überhaupt einen merkwürdigen Geschmack, denn das von ihrer Mutter gebackene und ausgesprochen leckere Brot mochten sie auch nicht. Sie zogen gekauftes Brot vor. Ich sag ja … merkwürdig.

Lilis Fell riecht nach Erdstaub. Sauberem, trockenem Erdstaub. Den Geruch kenne ich auch aus meiner Kindheit, wo es völlig natürlich war, auf der Erde rumzulümmeln – um Insekten zu beobachten beispielsweise, oder Regenwürmer, oder Ameisen, oder Käfer, oder anderes Kleingetier.

Mit Abstand am besten riecht Moritz, er duftet, besser gesagt, nach frischem Heu. Stecke ich meine Nase in sein Fell, denke ich manchmal, er hat sich parfümiert, ganz dezent, mit einem herb-würzigen Duftwässerchen mit Grasnote für Männer.

So erkenne ich meine Leisetreter auch mit geschlossenen Augen – an ihrem ganz persönlichen Aroma.


Einen Einblick in das liebevolle Katzenbuch gibt dieses kleine Video:

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Weihnachtsgeschichten

Advent-TitelKater Fritz berichtet über seine Einstellung zum Weihnachtsfest, Frau Schupfner bekommt vom Pfarrer statt des obligatorischen Stollens eine schnurrende Weihnachtsüberraschung in einem Korb, ein alter Mann vermisst schmerzlich seine verstorbene Ehefrau und seine Enkel schenken ihm etwas ganz Besonderes, der kleine Oliver hat eine nächtliche Begegnung mit dem Nikolaus und Anna erlebt einen Tag vor Heilig Abend ein kleines Wunder …
Sieben kunterbunte Geschichten rund um Advent und Weihnachten. Teilweise besinnlich und teilweise zum Schmunzeln.
Hier gibt es das Ebook zum Runterladen.

Katzenbuch: Auf Samtpfoten direkt in mein Herz

Seit über 30 Jahren lebe ich mit Katzen zusammen und freue mich täglich über meine Mitbewohner. Sie bringen Freude und Glück in mein Leben aber es gibt auch bange und traurige Zeiten. Wenn sie krank sind zum Beispiel.

“Auf Samtpfoten direkt in mein Herz” erzählt mit Geschichten und Bildern, wie das Zusammenleben mit den pelzigen Untermietern so ist. Hier ein kleiner Video-Einblick.

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Bestellen kann man das Büchlein im Buchladen.

Hier eine Geschichte aus dem Buch:

Moritz, der fröhliche Schwarzbär
Er lief mir auf dem Golfplatz über den Weg, im wahrsten Sinn des Wortes. Es war ein heißer Sonntag im August, als ich kurz vor dem Grün Sieben plötzlich ein mir zwar bekanntes, für einen Golfplatz aber ungewöhnliches Geräusch hörte: ein Miauen. Eigentlich war es mehr ein Piepsen – wie das eines Vogels. Nach dem Verursacher des Piepsens brauchte ich mich nicht lange umzuschauen – es stammte von einer kleinen schwarzen Katze, die zielstrebig auf mich zu tippelte, so, als hätte sie auf mich gewartet. Weiterlesen